Samstag, 1. Juni 2013

Kein Resümee


Von einem Resümé erwartet man gewöhnlich etwas Grundsätzliches, Bedeutsames. Ich kann hier nur die persönlichen Erfahrungen zusammenfassen und  einen zaghaften Blick in die Kristallkugel wagen. 

Zu allererst: es hat sich gelohnt. Die Zweifel der ersten Tage "Warum tue ich mir das in meinem Alter noch an?" waren schnell verflogen, besonders dank der freundlichen Hilfe vieler Menschen in der Umgebung und dem Mutmachen von Familie und Freunden in Deutschland. Die Gespräche beim abendlichen Dinner haben geholfen, den Kulturschock - und den hat man als Westler, wenn man zum ersten Mal Indien bereist - zu überwinden. Und noch jemand hat mir über die gesamte Zeit freundschaftliche geholfen: der perfekt deutsch sprechende indische Intellektuelle, mit dem ich manches KingFischer zum Abendessen beim Prinzen getrunken habe. Prinzen? Viele  nicht besonders wohlhabende ehemalige Klein-Maharadschas waren gezwungen, Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nachdem ihnen Indira Gandhi in den siebziger Jahren die staatliche Apanage gestrichen hatte. Viele erinnerten sich an die bekannte Berliner Regel "Wer nichts wird, wird Wirt" und eröffneten ein Restaurant. Manche, wie das in Mandi, sind ganz hervorragend.  

Zur Gewöhnung an das Leben in Indien gehört ganz sicher auch eine gewisse Gelassenheit und die  Bereitschaft, Störendes - ja, auch der Müll auf der Straße gehört dazu - zu ignorieren.
 
Indiens Zukunft ist die Jugend. Nahezu 50% der Bevölkerung ist jünger als 25 Jahre. Da darf man sich die typische westliche Alterspyramide gar nicht vorstellen, ohne ins Grübeln über die weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen zu kommen, die den nächsten Generationen bevorstehen. Da sieht selbst China alt aus.

Ich hatte das Vergnügen, mit einem privilegierten Teil dieser Jugend direkt zu tun zu haben. Schulbildung wird von der indischen Regierung ernst genommen. Ob wirklich jedes Kind regelmäßig zur Schule geht, sei dahin gestellt, schließlich sind Kinder auch billige Arbeitskräfte. Aber Kinderarbeit wird ernsthaft bekämpft. Jüngst war in er Zeitung zu lesen, dass das Bundesland Kerala (siehe letzter Blog-Eintrag) frei von Kinderarbeit ist. Und die zwei kostenlosen Schuluniformen dürfen ihre Wirkung auch auf die arme Bevölkerung nicht verfehlen, vermutlich im Gegensatz zu den ebenfalls kostenlosen Schulbüchern. Wie allerdings diese staatlichen Wohltaten die vielen Kinder in den Slums der Städte erreichen, bleibt ein Geheimnis. Sie besitzen keine Adresse.

Aber zurück zur Ausbildung. Es geht bekanntlich um Inhalte und Fähigkeiten. Von verschiedenen Seiten war zu hören, dass die Fähigkeiten vieler Lehrer begrenzt sind. In Diskussionen mit Studenten wurde ich gefragt, ob es noch viele Nazis in Deutschland gebe. Mein Kurzreferat zu NPD, jugendlichen Neonazis und NSU ging an der Sache vorbei: In der Schule habe das Thema eine große Rolle gespielt, und zwar immer vor dem Hintergrund der Verbrechen des zweiten Weltkrieges. Die Zivilgesellschaft, die sich spätestens seit den 1960er Jahren in (West-)Deutschland entwickelt hat, musste ich mühsam erklären. 
Andererseits ist die Ausbildung in Mathematik und Naturwissenschaften in der Highschool offenbar sehr gut. Das kann sich nicht wirklich kompetent beurteilen, denn die Zugangsvoraussetzung zu IITs ist ein schweres naturwissenschaftlich ausgerichtetes Examen, für das die meisten Kandidaten ein Coaching in Anspruch nehmen. Das wird von privaten Firmen durchgeführt, die in ganzseitigen Anzeigen   - Datenschutz hin oder her -  mit Namen und Lichtbild die Top-50 des vergangenen Jahres feiern, die den Sprung in ein IIT geschafft haben. Andererseits gibt es auch an IITs einige (wenige) schwache. Wie sie die Aufnahmeprüfung bestanden haben, bleibt mir ein Rätsel. 

Die Ausbildung der Eliten ist zweifellos wichtig, ist doch der Ruf nach "Leadership" unüberhörbar. Ob die aber durch reines Fachwissen, wie in den Prüfungen abgefragt, zu erreichen ist, sei dahingestellt. 

Wie die Zukunft aussieht, wird immer auch durch die ökonomische Situation bestimmt. Nach Jahren hohen Wachstums nimmt es derzeit eher ab (von etwas 10% p.a. auf gut 5 % im letzten Jahr). Zum Wachstum der letzten 10 Jahre hat sicher die Computerbranche entscheidend beigetragen. 1% der Bevölkerung sollen das Wachstum geschaffen haben, und davon sind viele in der Informationstechnik zu Hause. Die Schattenseite: die Preise steigen (derzeit etwa 8% p.a.) und das nicht nur für die gut verdienende Bevölkerung, sondern auch für die Armen - gut 30% der Bevölkerung verdienen weniger als umgerechnet 1,25 $ pro Tag, weniger als 100 Rp. (Quelle: TheTribune, Chandigarh). Zum Vergleich: ein Restaurantbesuch kostet pro Person etwa 250 Rp, für 10 Bananen und 5 Orangen zahlt man am food stand 70 bis 100 Rp.

Was in Indien offenbar fehlt, sind (viele!) Arbeitsplätze zur Herstellung von Produkten, die nur eine schnell erlernbare Qualifikationen benötigen. China hat das vorgemacht: in den Wirtschaftszonen wie Shenzen wurden anfangs blinkender Weihnachtsbaumschmuck, Handygehäuse oder Werkzeug für den Heimwerker hergestellt, alles billig zu kaufen bei Aldi, Lidl, Tchibo oder wie auch immer die Großabnehmer heißen. Man mag davon halten was man will: in China sind dadurch einige Hundertmillionen in die Mittelschicht katapultiert worden. Und mittlerweile stellt man auch hochwertige Produkte her. Nicht dass China seine Probleme gelöst hätte, die Landbevölkerung ist größtenteils bitterarm wie die in Indien, aber diejenigen, die ohne irgendeine Ausbildung in die Stadt gezogen sind, haben wenigsten eine Chance, (immer noch bitter wenig) Geld zu verdienen. Slums wie in den Städten Indiens habe ich in China nicht gesehen. Das mag aber daran liegen, dass wir in der kurzen Zeit in China  Städte nie auf eigene Faust entdecken konnten. Zurück zur IT. Trotz der berechtigten Kritik, Indien sei bloß die verlängerte Werkbank der IBMs, SAPs und Microsofts: Sie ist ein wichtiger Motor, der aber künftig Made in India sein sollte. Sowas gibt es in Ansätzen: Infosys ist z.B. ein rein indisches, weltweit agierende Unternehmen für IT-Dienstleistungen. 

Die Entwicklung einer Gesellschaft hängt nicht nur von der Ökonomie ab. Indien ist ein Land mit enormer, Jahrtausende alter kultureller Tradition. Man hat hier bereits Paläste gebaut, als in Deutschland nördlich des Limes mehr Wölfe als Germanen wohnten. Das (heute verbotene) Kastenwesen, die tiefe Religiosität und  Jahrhunderte alte Traditionen haben immer noch enormen Einfluss auf die Gesellschaft. Es irritiert schon mächtig, wenn  ein Intellektueller, nach eigenen Angaben in der Jugend ein politischer Linksaußen, erzählt, selbstverständlich habe er eine Braut für seinen Sohn gesucht ("Mühseliges Unterfangen") und natürlich sei es ganz wichtig, zunächst einmal die Kompatibilität der Gotra festzustellen. Gotra? Die hinduistische Bevölkerung Indiens entstammt sieben Gotras, so zu sagen Stämmen. Innerhalb dieser "Familie" darf man verständlicherweise nicht heiraten. Nur sind seither drei- bis viertausend Jahre vergangen.  Für junge Leuaberte spielt das traditionalistische Denken eine wichtige Rolle: natürlich kennt man das eigene Gotra ("Zu welchem gehörst du?") . Auch das Finden eines Ehepartners durch systematische Suche der Eltern wird als ganz selbstverständlich hingenommen. Neues Denken, durchaus mit Respekt für Tradition, hat immer wieder auch wirtschaftliche Entwicklungen gefördert, ob das die Freiheitsidee der Gründergeneration der Vereinigten Staaten oder die Aufklärung in Europa war, ohne die die industrielle Revolution viel schwerer in Gang gekommen wäre. 

Benutze deinen eigenen Verstand, statt nur auf die Götter zu hoffen, dieses Denken ist für die Jugend Indiens ungewohnt - selbst wenn man jahrelang im Ausland gelebt und am MIT oder in Harvard promoviert hat.

Indien wird in 50 Jahren einer der Giganten der Welt sein, selbst wenn der geistige Wandel nur schleppend verläuft. Das hat auch mit dem Bildungshunger vieler junger Inder/innen zu tun.  Sie wissen: die persönlichen Lebensumstände und damit Chancen auf gesellschaftlichen Aufstieg können entscheidend  durch Ausbildung verbessern werden.  Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber den jungen Menschen bei uns, für die Bildung und Ausbildung ohne größere Anstrengung ganz selbstverständlich sind. Entscheidend wird aber sein, ob auch diejenigen, die man bei uns "bildungsferne Schichten" nennt, erreicht werden, sprich die Ärmsten der Armen. Das sind grob überschlagen
250 Millionen Kinder und Jugendlichen. Lesen und Schreiben ist nicht mehr das Hauptproblem. Die Alphabetisierungsrate liegt mittlerweile bei knapp 80% (in den Städten 90). Dagegen ist es um die beruflichen Ausbildung schlecht bestellt. Kein Wunder, fehlt es doch heute noch an geeigneten Arbeitsplätzen .


Und die persönlichen Erfahrungen ("Was finden Sie in Indien am besten?") ?
Fangen wir mit dem Negativen an: Airtel meiden. Sie haben nach 3 Monaten meine gültige Mobilfunknummer kassiert, weil ich irrtümlich für einen Touristen mit 3-Monatsvisum gehalten wurde.  Ohne nationale Mobilfunknummer ist man in Indien ein Nobody. Man kann nicht einmal eine Bahnfahrkarte über das Internet buchen. Und der direkte Ticketkauf klappt nur nach Ausfüllen eines umfangreichen Formulars - natürlich wird auch die (indische) Handynummer abgefragt....

Jetair (nach eigenen Angaben die größte indische Fluggesellschaft) streicht Flüge  ohne Angaben von Gründen (nicht nur meine Erfahrung!).

Und zum Positiven: Indisches Essen ist ausgesprochen lecker. Fast wäre ich zum Vegetarier geworden. Die allermeisten Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Da kann es schon mal vorkommen, dass einem auf langer Wanderung irgendwo in den Bergen ein Glas Wasser angeboten wird, bei dem man nicht sicher ist, ob es dem deutschen Reinheitsgebot genügt. Da muss man durch.

Aber im Ernst: Indien ist ein faszinierendes vielseitiges, lebendiges, buntes Land - voller Widersprüche, voller Überraschungen, voller Herausforderungen. Letzteres natürlich nur, wenn man nicht touristisch behütet durchs Land reist.  An manches (Müll!) gewöhnt man sich auch nach Monaten nicht, aber man lernt, darüber hinweg zu sehen. 

 Die Briten haben dem Land zur Unabhängigkeit 1947 das Chaos prophezeit. Entstanden ist die größte Demokratie der Welt. Das verlangsamt manche  Entwicklungen, ist aber doch weitaus menschlicher als die chinesische Tabula-rasa-Politik. Man erinnert sich, dass vor den olympischen Spielen in Peking ganze Stadtviertel platt gemacht wurden. Aber die Korruption blüht  in beiden Ländern.  Die Demokratie macht das Land stabiler. Niemand kann sich einen dramatischen Wandel in Indien vorstellen. Die Herausforderung heißt Armutsbekämpfung und das scheint in Indien eher möglich als im frühkapitalistischen China, wo selbst der Schulbesuch sehr viel Geld kostet.
Indien wäre eine Überdenken und manchmal Überwinden anachronistischer Traditionen zu wünschen - bei Bewahrung der kulturellen Identität.

Ob allerdings die Überwindung der heiligen Kuh durch die vielen aus dem Boden sprießenden Steak-Häuser der richtige Weg ist, sei dahin gestellt.

Hiermit schließe ich meinen Blog zum Abenteuer Indien, ein  Abenteuer, das mich bereichert hat und das ich mit großer Wahrscheinlichkeit wiederholen werde. 
 

Mittwoch, 22. Mai 2013

Südindien





Wer hätte das gedacht: mein Indienaufenthalt endet in der Karibik unter Kokospalmen. So fühlt man sich jedenfalls, wenn man das wunderschöne Resort erreicht, in dem wir die letzte Woche verbringen. Kerala, so heißt der Name des indischen Bundesstaates an der Süspitze des Subkontinents am Arabischen Meer. Nie war ein Name so aussagekräftig: Land der Kokospalmen. Im Resort Thapovan (www.thapovan.com - etwas Schleichwerbung muss sein) lässt man das im Blog oft beschriebene leicht chaotische Leben im Alltags-Indien hinter sich. Herrliche Ruhe unter Palmen, kein Satelliten-Fernsehen und kein Swimmingpool, dafür wahlweise  weißer Sandstrand vor der Tür, oder ein unvergleichlicher Blick über Meer und Kokospalmenwälder. (Thapovan hat 2, ca. 200 m voneinander entfernte Standorte). Leider kann man um diese Jahreszeit wegen der gefährlichen Brandung nicht baden. Der nächste Badestrand ist einige Kilometer entfernt.


Chaotisches Indien? Außerhalb des Resorts kein überflüssiges Hupen (außer der gesetzlich vorgeschriebenen Warnung anderer Verkehrssteilnehmer), keine Kühe auf der Fahrbahn, Ampeln haben nicht nur Empfehlungscharakter, von Affen keine Spur und relativ wenig  Dreck am Straßenrand. Eindeutig: Südindien unterscheidet sich spürbar vom Norden. 

Das gilt auch für die politische Kultur des Landes: Kerala hatte die erste gewählte kommunistische (Landes-) Regierung der Welt - und ist gut damit gefahren. Die Alpabethisierungsrate liegt bei weit über 90 %, das Durchschnittseinkommen beträgt das Vierfache des sonstigen Indien. Alles funktioniert ganz (westlich) demokratisch: alle vier Jahre gibt es bei den Wahlen einen Wechsel mit der Kongressparteil. Zufällig war Rahul, der voraussichtlich nächste Ministerpräsident Indiens - oder sollte man sagen: Maharadscha? - aus der Dynastie der Gandhis (Nehru, Indira Gandhi, Rajiv und jetzt möglicherweise Rahul) in Trivandrum, als wir die Stadt besuchten.
Obwohl hier noch kein Wahlkampf, nicht mal Vorwahlkampf, angesagt ist, gehen die Emotionen höher als bei uns in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs zur Bundestagswahl. Horden Jugendlicher (und nicht ganz so Jugendlicher) ziehen  zu Fuß, auf dem Moped oder auch mit dem Bus durch die Stadt und skandieren Lobeshymnen. Die Stadt zeigt Flagge: die orange-weiß-grünen Fahnen der Kongresspartei flattern auf allen größeren Straßen. Damit nur kein falscher Eindruck entsteht, hat die kommunistische Partei (CPI) vor jede INC-Flagge eine rote mit Hammer und Sichel gepflanzt.




Trivandrum (oder indisch als Zungenbrecher: Thiruvananthapuram) ist eine schöne Stadt mit viel Grün, und hat etwa soviel Dreck wie in Berlin und eine lange Geschichte. Die hier im Süden zu findenden Gewürze haben Römer, später Araber, dann natürlich Briten, Portugiesen und Holländer angelockt. Das hat zumindest den König der Könige, den Maharadscha, reich gemacht. Davon zeugt der Palast des Maharadschas von Travancore, der wunderschöne Holzschnitzereien aufweist, auch viel Böhmisches Kristall und Meißener Porzellan. Immerhin waren diese Tauschobjekte mehr wert als die Glasperlen, mit denen die Ureinwohner auf der anderen Seite der Erde über den Tisch gezogen wurden.  Allerdings kann man Meißener Porzellan nicht essen, und so bleibt zu hoffen, dass für die Bevölkerung Eßbares bei dem Handel abgefallen ist. 
Trivandrum ist ein kulturelles Zentrum. Ob klassisches Konzert oder Galerien:  wem es im Resort am Strand auf Dauer zu langweilig wird, kann nach einer knapp 30-minütigen Autofahrt in die östliche (und auch westliche) Kultur eintauchen. Zur Kultur gehört in Indien immer auch die Religion. Damit hat es seine besondere Bewandnis. Auch im Norden - sprich Mandi - gibt es neben Hindus Moslems und Christen.   Sie treten aber kaum in Erscheinung. Ganz anders in Kerala, speziell Trivandrum. Mit pompösen Bauten, möglichst auf  gegenüberliegenden Straßenseiten, versuchte man sich gegenseitig zu übertreffen. Nur gut, das Trivandrum einen wunderschönen hinduistischen Tempel hat (zu dem aber nur Hindus Zutritt haben). Der Shri-Padmanabhaswamy-Tempel ist im Vergleich zu den typischen hinduistischen Tempeln, die ich gesehen habe, riesengroß und imposant. Ein Wetteifern wie zwischen Kirchenglocken und Muezzin haben die Hindus nicht nötig. Man muss wissen, ca 12% der Bevölkerung sind Moslems, 15 % Christen und mehr als 70% Hindus. Gleichwohl beherrschen die Muslime in wirklich penetranter Weise die Szene. Der Drang, die "Ungläubigen" zu bekehren, macht auch vor unserem Resort nicht halt, glücklicherweise nur akustisch. In ca. 3 km Luftlinie liegt der Fischereihafen von Vizhinjam.  Im Abstand von höchstens 150 m wurden dort 3 (drei!) Moscheen errichtet, die über ausgezeichnete Lautsprecher verfügen. Steht der Wind ungünstig, kann man von der Terrasse des Resorts mühelos der Predigt zu hören, täglich hat offenbar einer der drei Mullas Dienst. Den Muezzin am frühen Morgens lässt man sich vielleicht noch gefallen, die abendliche Predigt, (ca. 19 - 22 Uhr), ist vom Tonfall her am besten mit (christlichen) amerikanischen (Hass-)Predigern aus dem Bible Belt vergleichbar, gegen die Billy Graham ein Waisenknabe war, Hallellujja, Hallellujja. Pünktlich um 19:45 ertönt für ca 1 Minute das blecherne Glöckchen der Kirche, die nur wenige Schritte von der Moscheen-Ansammlung entfernt steht. Von den Hindus keine (akustische) Spur. Auch ihr örtlicherTempel wirkt, wie die meisten hinduistischen Tempel, bescheiden. Was lernen wir daraus? Das sei jedem selbst überlassen. Ich jedenfalls bin sicher, dass politisch korrektes Ignorieren nicht immer die richtige Haltung gegenüber radikal-aggressivem Verhalten ist, in welcher Lebenslage auch immer.  Interessant das Kontrastprogram: Inschrift auf der Strecke der Shimla - Kalka -Bahn: "Es gibt nur einen Gott: den der Muslime - Allah, den der Christen und Brahman,den der Hindus".


Zurück zu Thapovan und anderen Resorts in der Umgebung. Südindien ist für Ayurveda-Kuren bekannt, die in der Regel 4 Wochen dauern. Auch in dieser Hinsicht ist das Resort zu empfehlen. Von Deutschland aus über Doha, Dubai oder Abu Dabi in einem Reisetag zu erreichen,  sehr freundliches Personal, das dank der von allen gelobten Atmosphäre (und wahrscheinlich ordentlicher Bezahlung) meist seit vielen Jahren im Thapovan tägig ist. Wir haben, da nur 7 Tage zur Verfügung standen, ein Starter-Paket, so zu sagen ein Ayurvedea Quickie, über zwei Tage gebucht. Dazu gehörte ein wunderbares ayurvedisches (Hochzeits-) Dinner auf Bananenblatt und eine ayurvedische Massage. Die hat uns so gut gefallen, dass wir für unseren letzten Tag eine weitere gebucht haben. Dank eines duchwachsenen Sonnenbrands liege ich jetzt allerdings nicht auf der Massagebank sondern schreibe diesen Blog bei einem Glas frisch gepressten Ananassafts.

Montag, 13. Mai 2013

(Nord-) Indien als Tourist

 Nein, für ein Resümee ist es zu früh. Ich habe zwar vor einer Woche Mandi - zugegeben etwas wehmütig - verlassen, aber inzwischen sind wir als Touristen unterwegs. Die Entscheidung, einen dreiwöchigen Urlaub anzuhängen, fiel kurzfristig, weil die Rückkehr nach Berlin aus früher erwähnten Gründen keine Eile mehr hatte.
Der Abschied von Mandi war lang und herzlich. Eine Woche lang Einladungen, ein sehr angenehmer Abschluss unserer Reading Group im Haus des Direktors und dann noch das: Der Koffer war nahezu gepackt, Abmarsch um 3:30 (vormittags so zu sagen), da erreicht mich gegen 5 Uhr (nachmittags) ein Anruf der Studentengruppe aus Mandi. Ob ich mal eben runter ins Hörsaalgebäude kommen könne. Dort erwartete mich ein toller Kuchen, Milchshakes, Pizza und dann sogar Himachal-Kappe und -Schal. Außerdem intensive Gespräche mit den Studenten über Gott und die Welt, die man in einer Vorlesungssituation nicht führen kann.  Dazu später im Resümee - wenn ich dazu komme.

Zunächst aber: unterwegs mit Familie als Tourist. Der Tourist an sich ist ein unsteter Nomade. Er lässt nieder, wo es angeblich schön ist, trifft Seinesgleichen und jede Menge Einheimische, die ihm alles mögliche, vom bunten Plastikspielzeug bis zur Guccis-Handtasche (made in China), andrehen wollen.
Dehli war das erste Ziel, keine Stadt sondern mindestens drei. Very bristish geht es in Teilen New Dehlis zu, im Regierungsviertel, dort wo die Wohlhabenden hinter hohen Zäunen und von der Security bewacht wohnen. Das Tor des Präsidentenpalastes wird sogar durch ein Replikat des Tores vom Buckinham Palace geschützt. Wäre es nicht so heiß - zu unserer Zeit bis zu 40° - könnte man auch sich in London aber auch im Berliner Tiergartenviertel wähnen. Gepflegte Parks, viele Bäume, breite Alleen - ganz und gar nicht mit meinem Indien der vergangenen knapp 3 Monate zu vergleichen.

Cultural Dehli, so nenne ich das mal, weist beeindruckende Monumente der Geschichte, besonders aus der Mogulzeit vor ca. 500 Jahren auf, alles sorgfältig gepflegt, ohne Verkaufstände und ohne aufdringliche Verkäufer. Da man dieses Dehli über die ganze Stadt verstreut findet, lohnt sich ein Fahrzeug mit Fahrer (2000 Rp pro Tag, ca. 28 €). Wenn man Glück hat wie wir, kann der nicht nur Auto fahren, sondern versteht etwas von Gutub Minar, dem Lotus Tempel oder bringt seinen Fahrgästen Humayuns Mausoleum nahe.



Einen Hauch der dritten Stadt erfährt man bereits am Connaught Platz , immer noch british, allein wegen der Architektur, aber schon mit fliegenden und sitzenden Händlern übersät, die unentwegt die günstigsten, schönsten, buntesten Tücher, Sonnenbrillen, Taschen und alles, was man nicht wirklich braucht, anbieten. Natürlich gehört der Platz zum Pflichtprogramm jedes Touristen. Übrigens: Wer es nicht wagt eine Motorrikscha ("the indish helicopter") zu nehmen, sei es, weil man deren Verkehrstüchtigkeit nicht traut, sei es weil man befürchtet, als Tourist übers Ohr gehauen zu werden (Tipp: vorher Preis aushandeln), der ist mit der Metro bestens bedient. Dehli verfügt mittlerweile über ein großes Netz, die Bahnen sind schnell, die Frequenz ist hoch und man kann sich recht sicher fühlen. Jeder Passagier wird (nachlässig) überprüft, jeder Rucksack durchleuchtet und darüber wacht ein schwer bewaffneter Soldat hinter Sandsäcken. Allerdings sollte man den Berufsverkehr meiden, da geht es schlimmer zu als in der U-Bahn von Tokyo. Interessant: auf manchen Strecken gibt es Waggons nur für Frauen.Noch ein Wort zu den Helikoptern (mit Piaggio-Motor!): das Cabrio-Modell erlaubt die Stoffplane hinten hochzuklappen und eine Sitzleiste anzubringen. In dieser Transportvariante werden maximal 15 Personen plus Fahrer transportiert. Um die Proportionen klar zu machen: die Grundfläche des Gefährts beträgt ca. einen Quadratmeter.

Die dritte Stadt - Old Dehli - beginnt zwei Stationen hinter Rajiv Chowk, der U-Bahn-Station des Connaught. Hier um den  Chandni Chowk, dem lebhaftesten Platz in Dehli, spielt sich das wahre Leben ab. Trotz unzähliger Geschäfte wird einem hier (außer vor den Souvenirshops, die es in der Nähe des Forts gibt) keine Sonnenbrille angepriesen, sondern es geht ums Geschäft. Was man bei Obi unter einem Dach findet, ist hier auf 150 spezialisierte Geschäfte verteilt. Besonders lohnend: der Gewürzmarkt. Hier kann man erleben, was Pfeffersäcke sind. Der Geschäftsinhalber, leicht erkennbar an besserer Kleidung und Papier und Bleistift, dirigiert Horden von schuftenden Trägern, die schwere Säcke voll diverser Gewürze von A nach B und umgekehrt transportieren. Nicht verwunderlich, dass ein angenehmer Duft (von Gewürzen, deren Namen ich nicht mal kenne) über dem Stadtviertel liegt. Weniger angenehm: Alle, ob Träger oder Tourist, husten um die Wette, besonders wenn gerade (echte) Pfeffersäcke befüllt und transportiert werden.

Summa summarum: Dehli lohnt unbedingt einen mehrtägigen Aufenthalt, sogar bei Temperaturen um 40°. Zum Schluss noch eine Werbeeinblendung: Ein sehr empfehlenswertes Hotel ist Bloomrooms (bloomrooms.com), europäisch angehaucht, mit kleinem Café, das auch abends noch geöffnet ist, sehr freundliches, hilfsbereites Personal, einfache, zweckmäßige (aber: Schrank fehlt), peinlich saubere Räume. Zur U-Bahn (Jangpura) läuft man 5 Minuten.

Tourist in Indien ohne das Taj Mahal? Das geht gar nicht. Am bequemsten ist die Fahrt
Dehli  - Agra - die ehemalige Hauptstadt Indiens zur Mogulzeit - mit Fahrer und Wagen (8000 Rp für ein großes Fahrzeug für vier Personen). Das schließt einen lokalen Fremdenführer in Agra ein. Unserer war sehr kompetent, gebildet und historisch bewandert. Agra ist ein Moloch, 1.4 Millionen Einwohner, chaotisch, bunt, vielfältig. Und dann: Golfplätze, Grünanlagen, eine offenbar für Touristen entstandene kleine Stadt mit McDonalds, Hotels und Einkaufspalästen. Wir hatten uns in einem 5-Sterne-Hotel (zum Sondertarif, 60 € pro Zimmer) niedergelassen. Nirgends ist mir bisher der Unterschied zum normalem Leben so sehr aufgefallen wie hier. Das Hotel unterscheidet sich nicht von dem (der gleichen Kette) in Paris, München oder London, allerdings schwer gesichert durch Security usw. Überraschung: vom Zimmer aus war das Taj Mahal zu sehen.


Dank unseres Führers haben wir die beiden großen Sehenswürdigkeiten (Fort und Taj Mahal) am späten Nachmittag bis zur Schließung bei Sonnenuntergang (Fort) und das Taj am frühen Morgen um 6 besichtigt. Nicht nur, dass die Temperaturen angenehm waren, wir waren teilweise die einzigen
Touristen und konnten dank des kompetenten Führers (der natürlich auch die optimalen Standorte für Fotos kannte) tief in die indische Geschichte eintauchen. Nur soviel: Anfang des 17. Jahrhunderts ließ der damalige liberale Herrscher Sha Jahan , der das Land vorwärts gebracht hat, in Sichtweite des Forts (Schlosses) das Grabmal für seine Lieblingsfrau - klar, man hatte bekanntlich mehrere - bauen.  Besonders eindrucksvoll sind neben der Gesamtarchitektur zwei Dinge: die in den Marmor eingelegten Halbedelsteine, die das gesamte Geäude schmücken sowie die Symbole von verschiedenen Religionen. Shah Jahan war ein liberaler Moslem, und so zieren das im Stil einer Mosché gebauten Mausoleum hinduistische Motive ebenso wie (ziemlich versteckt) christliche Symbole. Wer mehr über das Taj Mahal wissen will: es gibt eine eindrucksvolle Filmdokumentation des ZDF und natürlich jede Menge Literatur, z.B. hier und zum Fort auch hier.

Ein Sprung über 200 Jahre und 400 km führt uns in die nächste wichtige Epoche Indiens: die Kolonialzeit, die das schon etwas in die Jahre gekommene Mogulreich ablöste.
Shimla ist heute eine Großstadt (140.000 Einwohner), deren Zentrum auf 2200 m Höhe liegt. Mitte des 19ten Jahrhunderts wurde es den Briten in ihrer Hauptstadt Kalkutta (später Dehli) im Sommer zu warm. Man zog mit Sack und Pack für mehrere Monate auf den Berg nach Shimla, später dann mit der eigens gebauten Schmalspurbahn, die auf knapp 100 km etwa 1600 Höhenmeter überwindet und dafür mindestens 6 Stunden benötigt. Sie ist noch in Betrieb und auch wir haben die dem dreifach schnelleren Bus vorgezogen. Nirgends ist die Konfrontation Indiens mit seiner Kolonialgeschichte eindrucksvoller zu besichtigen wie in Shimla. Auf dem Plateau (The Ridge) dominiert eine Kirche im englisch-neugotischen Stil. Daneben gibt es jede Menge englischer Bauten wie das neue Rathaus und das Theater, erbaut 1897 und nach Renovierung in einem tadellosen Zustand (demnächst wahrscheinlich Weltkulturerbe). Kipling, der lange in Shimla lebte, hat Stücke für das Theater geschrieben und auch selbst gespielt. Ein Volltreffer der Titel des ersten gespielten Stückes "Time will tell.." . Und die Zeit hat 50 Jahre später tatsächlich gezeigt, wie die Zukunft aussieht: Unabhängigkeit. Verhandlungen u.a. mit Gandhi fanden in Shimla statt, denn der Viceroy (falsch übersetzt mit Vizekönig), also der englische Statthalter bewohnte im Sommer ein äußerst stattliches Anwesen, das heute Sitz des Indian Insitute for Advanced Studies ist. Hier wurde auch die Teilung des alten Kolonialreichs in die Länder Indien und Pakistan beschlossen.

Es gibt in Shimla eine Fußgängerzone, die Mall, einige Kilomerter lang und mit mehr oder weniger feinen Geschäften gepflastert. Man muss wissen, dass bis 1925 kein Inder diesen Bereich der Stadt (Mall und Ridge) betreten durfte, es sei denn er war Bediensteter oder Rikschafahrer. Rikschas sind heute wegen der extremen Steigungen verboten, ebenso wie alle Arten von Autos. Dafür gibt es menschliche Packesel, die den gesamten Lieferverkehr bewerkstelligen. Ein schlimmer Job. Man sieht den Menschen nicht nur die Anstrengung an sondern auch ihre Herkunft aus der untersten Gesellschaftsschicht.
Das Verbot der Mall für Inder führte zu einer Parallel-Mall, dem Lower Bazar, mit den typischen indischen Verkaufsständen, Kleinstgeschäften und jeder Menge Gedränge. Das Preisniveau dürfte sich hier auf höchsten der Hälfte der Mall betragen, wo in erster Linie Touristen (indische, andere sieht man kaum) kaufen.

Was mich bewegt, ist das undurchschaubare Verhältnis der Inder zu ihren Kolonialherren. Das bauliche Erbe wird, auch wenn manches verfallen ist, sorgsam gepflegt. In Shimla ist das besonders gut zu sehen. Andererseits waren die Briten Kolonialmacht und häufig genug Unterdrücker. Erst wenn man fragt bekommt man ... auch keine Antwort: "That time was really bad, the British were the rulers, but their cultural heritage....", zu dem natürlich auch Kricket gehört.

Noch ein Wort zum Wetter: bisher störte höchstens gelegentlich die Hitze  den schönen Frühlingssommer (in Shimla blühen die Kastanien, in der Ebene um Dehli ist das Getreide längst geerntet). Heute sah es anders aus. Dauerregen und Temperaturen um 19°. Erst am Abend konnten wir den geplanten Aufstieg zum höchsten Punkt Shimlas beginnen, allerdings per Taxi, Abstieg dann zu Fuß. Der dort gebaute Tempel ist Hanuman, dem Affengott gewidmet. Neben seiner übergroßen, die Stadt überragenden Skulptur, gibt es Unmengen von sehr lebendigen Affen, die es auf Brillen, Fotoapparate, Handtaschen, besonders aber Essbares abgesehen haben. Alles muss sorgsam verstaut werden.  Das hat meinen Besuch im wahrsten Sinne des Wortes etwas getrübt, denn ohne Brille sehe ich nur die Hälfte.