Montag, 13. Mai 2013

(Nord-) Indien als Tourist

 Nein, für ein Resümee ist es zu früh. Ich habe zwar vor einer Woche Mandi - zugegeben etwas wehmütig - verlassen, aber inzwischen sind wir als Touristen unterwegs. Die Entscheidung, einen dreiwöchigen Urlaub anzuhängen, fiel kurzfristig, weil die Rückkehr nach Berlin aus früher erwähnten Gründen keine Eile mehr hatte.
Der Abschied von Mandi war lang und herzlich. Eine Woche lang Einladungen, ein sehr angenehmer Abschluss unserer Reading Group im Haus des Direktors und dann noch das: Der Koffer war nahezu gepackt, Abmarsch um 3:30 (vormittags so zu sagen), da erreicht mich gegen 5 Uhr (nachmittags) ein Anruf der Studentengruppe aus Mandi. Ob ich mal eben runter ins Hörsaalgebäude kommen könne. Dort erwartete mich ein toller Kuchen, Milchshakes, Pizza und dann sogar Himachal-Kappe und -Schal. Außerdem intensive Gespräche mit den Studenten über Gott und die Welt, die man in einer Vorlesungssituation nicht führen kann.  Dazu später im Resümee - wenn ich dazu komme.

Zunächst aber: unterwegs mit Familie als Tourist. Der Tourist an sich ist ein unsteter Nomade. Er lässt nieder, wo es angeblich schön ist, trifft Seinesgleichen und jede Menge Einheimische, die ihm alles mögliche, vom bunten Plastikspielzeug bis zur Guccis-Handtasche (made in China), andrehen wollen.
Dehli war das erste Ziel, keine Stadt sondern mindestens drei. Very bristish geht es in Teilen New Dehlis zu, im Regierungsviertel, dort wo die Wohlhabenden hinter hohen Zäunen und von der Security bewacht wohnen. Das Tor des Präsidentenpalastes wird sogar durch ein Replikat des Tores vom Buckinham Palace geschützt. Wäre es nicht so heiß - zu unserer Zeit bis zu 40° - könnte man auch sich in London aber auch im Berliner Tiergartenviertel wähnen. Gepflegte Parks, viele Bäume, breite Alleen - ganz und gar nicht mit meinem Indien der vergangenen knapp 3 Monate zu vergleichen.

Cultural Dehli, so nenne ich das mal, weist beeindruckende Monumente der Geschichte, besonders aus der Mogulzeit vor ca. 500 Jahren auf, alles sorgfältig gepflegt, ohne Verkaufstände und ohne aufdringliche Verkäufer. Da man dieses Dehli über die ganze Stadt verstreut findet, lohnt sich ein Fahrzeug mit Fahrer (2000 Rp pro Tag, ca. 28 €). Wenn man Glück hat wie wir, kann der nicht nur Auto fahren, sondern versteht etwas von Gutub Minar, dem Lotus Tempel oder bringt seinen Fahrgästen Humayuns Mausoleum nahe.



Einen Hauch der dritten Stadt erfährt man bereits am Connaught Platz , immer noch british, allein wegen der Architektur, aber schon mit fliegenden und sitzenden Händlern übersät, die unentwegt die günstigsten, schönsten, buntesten Tücher, Sonnenbrillen, Taschen und alles, was man nicht wirklich braucht, anbieten. Natürlich gehört der Platz zum Pflichtprogramm jedes Touristen. Übrigens: Wer es nicht wagt eine Motorrikscha ("the indish helicopter") zu nehmen, sei es, weil man deren Verkehrstüchtigkeit nicht traut, sei es weil man befürchtet, als Tourist übers Ohr gehauen zu werden (Tipp: vorher Preis aushandeln), der ist mit der Metro bestens bedient. Dehli verfügt mittlerweile über ein großes Netz, die Bahnen sind schnell, die Frequenz ist hoch und man kann sich recht sicher fühlen. Jeder Passagier wird (nachlässig) überprüft, jeder Rucksack durchleuchtet und darüber wacht ein schwer bewaffneter Soldat hinter Sandsäcken. Allerdings sollte man den Berufsverkehr meiden, da geht es schlimmer zu als in der U-Bahn von Tokyo. Interessant: auf manchen Strecken gibt es Waggons nur für Frauen.Noch ein Wort zu den Helikoptern (mit Piaggio-Motor!): das Cabrio-Modell erlaubt die Stoffplane hinten hochzuklappen und eine Sitzleiste anzubringen. In dieser Transportvariante werden maximal 15 Personen plus Fahrer transportiert. Um die Proportionen klar zu machen: die Grundfläche des Gefährts beträgt ca. einen Quadratmeter.

Die dritte Stadt - Old Dehli - beginnt zwei Stationen hinter Rajiv Chowk, der U-Bahn-Station des Connaught. Hier um den  Chandni Chowk, dem lebhaftesten Platz in Dehli, spielt sich das wahre Leben ab. Trotz unzähliger Geschäfte wird einem hier (außer vor den Souvenirshops, die es in der Nähe des Forts gibt) keine Sonnenbrille angepriesen, sondern es geht ums Geschäft. Was man bei Obi unter einem Dach findet, ist hier auf 150 spezialisierte Geschäfte verteilt. Besonders lohnend: der Gewürzmarkt. Hier kann man erleben, was Pfeffersäcke sind. Der Geschäftsinhalber, leicht erkennbar an besserer Kleidung und Papier und Bleistift, dirigiert Horden von schuftenden Trägern, die schwere Säcke voll diverser Gewürze von A nach B und umgekehrt transportieren. Nicht verwunderlich, dass ein angenehmer Duft (von Gewürzen, deren Namen ich nicht mal kenne) über dem Stadtviertel liegt. Weniger angenehm: Alle, ob Träger oder Tourist, husten um die Wette, besonders wenn gerade (echte) Pfeffersäcke befüllt und transportiert werden.

Summa summarum: Dehli lohnt unbedingt einen mehrtägigen Aufenthalt, sogar bei Temperaturen um 40°. Zum Schluss noch eine Werbeeinblendung: Ein sehr empfehlenswertes Hotel ist Bloomrooms (bloomrooms.com), europäisch angehaucht, mit kleinem Café, das auch abends noch geöffnet ist, sehr freundliches, hilfsbereites Personal, einfache, zweckmäßige (aber: Schrank fehlt), peinlich saubere Räume. Zur U-Bahn (Jangpura) läuft man 5 Minuten.

Tourist in Indien ohne das Taj Mahal? Das geht gar nicht. Am bequemsten ist die Fahrt
Dehli  - Agra - die ehemalige Hauptstadt Indiens zur Mogulzeit - mit Fahrer und Wagen (8000 Rp für ein großes Fahrzeug für vier Personen). Das schließt einen lokalen Fremdenführer in Agra ein. Unserer war sehr kompetent, gebildet und historisch bewandert. Agra ist ein Moloch, 1.4 Millionen Einwohner, chaotisch, bunt, vielfältig. Und dann: Golfplätze, Grünanlagen, eine offenbar für Touristen entstandene kleine Stadt mit McDonalds, Hotels und Einkaufspalästen. Wir hatten uns in einem 5-Sterne-Hotel (zum Sondertarif, 60 € pro Zimmer) niedergelassen. Nirgends ist mir bisher der Unterschied zum normalem Leben so sehr aufgefallen wie hier. Das Hotel unterscheidet sich nicht von dem (der gleichen Kette) in Paris, München oder London, allerdings schwer gesichert durch Security usw. Überraschung: vom Zimmer aus war das Taj Mahal zu sehen.


Dank unseres Führers haben wir die beiden großen Sehenswürdigkeiten (Fort und Taj Mahal) am späten Nachmittag bis zur Schließung bei Sonnenuntergang (Fort) und das Taj am frühen Morgen um 6 besichtigt. Nicht nur, dass die Temperaturen angenehm waren, wir waren teilweise die einzigen
Touristen und konnten dank des kompetenten Führers (der natürlich auch die optimalen Standorte für Fotos kannte) tief in die indische Geschichte eintauchen. Nur soviel: Anfang des 17. Jahrhunderts ließ der damalige liberale Herrscher Sha Jahan , der das Land vorwärts gebracht hat, in Sichtweite des Forts (Schlosses) das Grabmal für seine Lieblingsfrau - klar, man hatte bekanntlich mehrere - bauen.  Besonders eindrucksvoll sind neben der Gesamtarchitektur zwei Dinge: die in den Marmor eingelegten Halbedelsteine, die das gesamte Geäude schmücken sowie die Symbole von verschiedenen Religionen. Shah Jahan war ein liberaler Moslem, und so zieren das im Stil einer Mosché gebauten Mausoleum hinduistische Motive ebenso wie (ziemlich versteckt) christliche Symbole. Wer mehr über das Taj Mahal wissen will: es gibt eine eindrucksvolle Filmdokumentation des ZDF und natürlich jede Menge Literatur, z.B. hier und zum Fort auch hier.

Ein Sprung über 200 Jahre und 400 km führt uns in die nächste wichtige Epoche Indiens: die Kolonialzeit, die das schon etwas in die Jahre gekommene Mogulreich ablöste.
Shimla ist heute eine Großstadt (140.000 Einwohner), deren Zentrum auf 2200 m Höhe liegt. Mitte des 19ten Jahrhunderts wurde es den Briten in ihrer Hauptstadt Kalkutta (später Dehli) im Sommer zu warm. Man zog mit Sack und Pack für mehrere Monate auf den Berg nach Shimla, später dann mit der eigens gebauten Schmalspurbahn, die auf knapp 100 km etwa 1600 Höhenmeter überwindet und dafür mindestens 6 Stunden benötigt. Sie ist noch in Betrieb und auch wir haben die dem dreifach schnelleren Bus vorgezogen. Nirgends ist die Konfrontation Indiens mit seiner Kolonialgeschichte eindrucksvoller zu besichtigen wie in Shimla. Auf dem Plateau (The Ridge) dominiert eine Kirche im englisch-neugotischen Stil. Daneben gibt es jede Menge englischer Bauten wie das neue Rathaus und das Theater, erbaut 1897 und nach Renovierung in einem tadellosen Zustand (demnächst wahrscheinlich Weltkulturerbe). Kipling, der lange in Shimla lebte, hat Stücke für das Theater geschrieben und auch selbst gespielt. Ein Volltreffer der Titel des ersten gespielten Stückes "Time will tell.." . Und die Zeit hat 50 Jahre später tatsächlich gezeigt, wie die Zukunft aussieht: Unabhängigkeit. Verhandlungen u.a. mit Gandhi fanden in Shimla statt, denn der Viceroy (falsch übersetzt mit Vizekönig), also der englische Statthalter bewohnte im Sommer ein äußerst stattliches Anwesen, das heute Sitz des Indian Insitute for Advanced Studies ist. Hier wurde auch die Teilung des alten Kolonialreichs in die Länder Indien und Pakistan beschlossen.

Es gibt in Shimla eine Fußgängerzone, die Mall, einige Kilomerter lang und mit mehr oder weniger feinen Geschäften gepflastert. Man muss wissen, dass bis 1925 kein Inder diesen Bereich der Stadt (Mall und Ridge) betreten durfte, es sei denn er war Bediensteter oder Rikschafahrer. Rikschas sind heute wegen der extremen Steigungen verboten, ebenso wie alle Arten von Autos. Dafür gibt es menschliche Packesel, die den gesamten Lieferverkehr bewerkstelligen. Ein schlimmer Job. Man sieht den Menschen nicht nur die Anstrengung an sondern auch ihre Herkunft aus der untersten Gesellschaftsschicht.
Das Verbot der Mall für Inder führte zu einer Parallel-Mall, dem Lower Bazar, mit den typischen indischen Verkaufsständen, Kleinstgeschäften und jeder Menge Gedränge. Das Preisniveau dürfte sich hier auf höchsten der Hälfte der Mall betragen, wo in erster Linie Touristen (indische, andere sieht man kaum) kaufen.

Was mich bewegt, ist das undurchschaubare Verhältnis der Inder zu ihren Kolonialherren. Das bauliche Erbe wird, auch wenn manches verfallen ist, sorgsam gepflegt. In Shimla ist das besonders gut zu sehen. Andererseits waren die Briten Kolonialmacht und häufig genug Unterdrücker. Erst wenn man fragt bekommt man ... auch keine Antwort: "That time was really bad, the British were the rulers, but their cultural heritage....", zu dem natürlich auch Kricket gehört.

Noch ein Wort zum Wetter: bisher störte höchstens gelegentlich die Hitze  den schönen Frühlingssommer (in Shimla blühen die Kastanien, in der Ebene um Dehli ist das Getreide längst geerntet). Heute sah es anders aus. Dauerregen und Temperaturen um 19°. Erst am Abend konnten wir den geplanten Aufstieg zum höchsten Punkt Shimlas beginnen, allerdings per Taxi, Abstieg dann zu Fuß. Der dort gebaute Tempel ist Hanuman, dem Affengott gewidmet. Neben seiner übergroßen, die Stadt überragenden Skulptur, gibt es Unmengen von sehr lebendigen Affen, die es auf Brillen, Fotoapparate, Handtaschen, besonders aber Essbares abgesehen haben. Alles muss sorgsam verstaut werden.  Das hat meinen Besuch im wahrsten Sinne des Wortes etwas getrübt, denn ohne Brille sehe ich nur die Hälfte.











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