Freitag, 26. April 2013

Typisch...


Typisch deutsch, da fällt einem so einiges ein, typisch indisch, damit hatte ich in den vergangenen 2 1/2 Monaten zu tun - und habe mich doch an vieles gewöhnt, manches weiß ich inzwischen zu schätzen. Um es gleich vorweg zu sagen: ein Stück Gelassenheit, nicht unbedingt typisch deutsches Verhalten, habe ich hier nach und nach gelernt. Vielleicht waren die Tiere das heimliche Vorbild: Wer die vom Straßenverkehr umtosten Kühe sieht, erahnt was Gelassenheit ist. Apropos Rindvieh: die gibt es hier natürlich zur Genüge. Die echten gelten als mehr oder weniger heilig, werden aber ganz respektlos behandelt. Sie sind keineswegs herrenlos, wie ich ursprünglich dachte. Aber es ist billiger, das Rindvieh auf die Straße zu treiben (wo es sowieso allerhand Ochsen gibt). Sie ernähren sich dann meist wie mein Lieblingsbulle, aus dem vegetarischen Abfall. Vor dem Tier hätte ich in D gehörigen Respekt. Hier geht man sich einfach aus dem Wege, auch ein Zeichen von Gelassenheit.

In Indien seien so viele mit so wenig glücklich und zufrieden, sagte mir jemand . Es sei mal dahin gestellt, ob das zutrifft. In jedem Fall gilt es für die Tierwelt. Dem Schwein kann man sein Glück förmlich ansehen. Wohl auch, weil Hühnerfleisch hier wesentlich beliebter ist als Schweinefleisch. Massentierhaltung gibt es nicht, nicht mal einen Schlachthof (im Bundesstaat Himachal Pradesh).
Neben den schon gelegentlich genannten Hunden - sie schlafen am Tag und kläffen in der Nacht - zeigen auch die Tiger und Löwen, meist in Verbindung mit einem Tempel,  vom Respekt der Inder vor Tieren. Nein, deutsche Tierliebe ist das nicht. Ich habe noch keinen Pudel mit bunter Weste gesehen. Zugegeben, dafür wäre es derzeit (bis zu 40°) auch etwas warm.

Selbst bei mir, der ich mit zwei linken Händen geboren wurde, löst ein  anderes immer wieder zu besichtigendes Phänomen Kopfschütteln aus: der handwerkliche Pfusch. Da wird gebogen, gehobelt, gespachelt und passend gemacht, falls es ein Problem gibt. Und das gibt es fast immer. Am eindrucksvollsten ist das bei der Infrastruktur zu besichtigen. Ob Wasser- oder sonstige Leitungen: es wird  gezogen, begradigt oder geknickt bis es passt. Dann evtl. noch etwas  Beton zur Befestigung und das Wasser kann fließen. Man kann allerdings fragen: Wäre keine Wasserleitung die bessere Lösung? Schließlich sind die Freilandwasserleitungen günstiger als das Beerdigen, Einmauern und pefekte Verlegen.

Das Bauen hat in den letzten Jahren einen großen Wandel erlebt. Beton ist in. Man findet in Stadt und Land Werbung für Zement. Vor Ort wird der Beton gemischt und in abenteuerliche ausschauenede Verschalungen geschüttet. Der Zementmarkt ist übrigens fest in der Hand der Heidelberger Zement AG.  Ein ausgesprochen  häufiges Bild bei Bauten: die Vorbereitungen für das nächste Stockwerk. Auch viele Jahre alte Häuser weisen die typischen Anschlussstellen der Stahlarmierung auf. Vielleicht wollen wir mal ein  Stockwerk drauf setzen?  Mit traditionellen Ziegeln wird dagegen nur noch selten gemauert.    Wo wir schon beim Bauen sind: sehr funktionell, wenn auch
ästhetisch weniger befriedigend sind die Schlösser und Türklinken. Letztere gibt es eigentlich gar nicht. Der Mechanismus ist klar und einfach wie beim Kaninchenstall . Er wird nicht nur im Billigbau verwendet. Hinter Schloss und Riegel fühlt man sich absolut sicher. Im weiteren Sinne dem Bausektor zuzurechnen sind die Handwaschbecken. Nein, nicht die im Badezimmer. Jedes noch so kleine Lokal - obwohl manchmal ohne Toilette - hat ein Waschbecken für die Gäste. Und die Hände werden vor und nach dem Essen gewaschen. Das "vor" wünscht man sich gelegentlich  auch bei uns, zumindest für manche Leute. Das "nach" hat hier natürlich einen großen Stellenwert, weil die Essgewohnheiten die Finger im wahrsten Sinne des Wortes nicht unberührt lassen.  Über andere nützliche, dem westlichen Standard überlegene Hygieneeinrichtungen habe ich in bereits früher geschrieben. Aber zumindest der Ventilator sei noch erwähnt, der in jedem Raum größer als 4 qm hängt. Ohne den ließe es sich bei 40° kaum aushalten.

Was ist noch "typisch indisch"? Sicher die enorm vielen Tempel ohne eine einzige Kirche oder Moschee  - Himachal Pradesch is Hindu-Country - im Süden sieht es etwas anders aus; die Begeisterung für Kricket - quer durch alle Bevökerungsschichten; Massen von Tatra-Lkws, alle ohne Hänger, weil sie es sonst kaum durch die engen Straßen schaffen würden; knallbunte Häuser; Wäsche waschen durch kräftiges Draufschlagen (auch wenn es längst Waschmaschinen zu kaufen gibt);  Unmengen von Fastfood-Imbiss-Buden (nein, McDonald gibt es noch nicht) und Fruitstands. An dieser Stelle muss man der indischen Regierung ein großes Kompliment machen: Plastiktüten gibt es nicht mehr! die un-kaputtbaren sind schlicht verboten, zumindest hier im Norden. Stattdessen muss eine wahre Papiertüten-Klebe-Industrie entstanden sein. Praktisch alle Waren werden in geklebte Zeitungspapiertüten gesteckt. Und die findet man im Gegensatz zu den industriellen Plastikverpackungen, nicht auf der Straße. Sie dienen im Winter als willkommenes Brennmaterial.

Indien ist nach wie vor eine, sagen wir es vorsichtig, streng gegliederte Gesellschaft. In Akademia merkt man das kaum, aber kaum betritt man das richtige Leben, wird einem das immer wieder vor Augen geführt. Es betrifft viele Lebensbereiche. Auffällig ist das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Wer mal von Kamasutra gehört hat, mag andere Vorstellungen haben, die Realität sieht jedoch äußerst puritanisch aus. Zumindest hier im Norden sieht man kam Frauen in Jeans oder anderer westlicher Kleidung. Selbst beim Schwertransport, natürlich auf dem Kopf, trägt man den Sari. Das etwas verklemmte Verhältnis der Geschlechter versinnbildlicht die Sitzposition der Frau als Beifahrerin auf Moped, Roller oder Enfield (ein schönes klassisches britisches Motorrad): frau nimmt im Damensitz Platz. Wer nicht mehr weiß was das ist: die Beine hängen zu einer Seite. Ich habe häufig Angst, dass die Dame hinten runter fällt, besonders wenn auch noch zwei Kinder auf dem Motorrad verstaut werden.

Um noch mal auf das akademische Umfeld zu sprechen zu kommen: hier am IIT gibt es weitaus mehr weibliche Dozenten, insbesondere Assistenz-Professorinnen, als bei uns.

Zum Typischen gehört auch die indische Aussprache des Englischen. Die Mittelschicht spricht perfekt Englisch (im Gegensatz zu den Deutschen hier, einer fällt mir ein...), aber oft mit dem eigentümlichen, durch die Muttersprache (hier im Norden Hindi) gefärbten Akzent. In Indien spricht man viele (wohl über 100) verschiedene Sprachen. Deshalb ist   Englisch als Amtsprache geradezu zwingend. Trotz mancher Widerstände und obwohl mindestens die Hälfte der Bevölkerung kein Englisch spricht, ist das auch heute noch so. Dass man es dabei mit der korrekten Schreibweise nicht immer ganz genau nimmt, sieht man an den beiden Werbetafeln,  die gemeinsam einen Fastfood-Stand zieren.

Noch ein Wort zur Gelassenheit. Rauschmittel sind - mit Ausnahme von Alkohol - auch in Indien verboten. Da wundert es einen, wenn man beim Spaziergang plötzlich auf eine ganz besondere Spezies Pflanzen trifft, und zwar in Hülle und Fülle. Was in Berlin mühsam auf dem Balkon gezogen wird (gelegentlich auch professioneller im Kellergeschoss, davon liest man dann in im Polizeibericht), wächst, blüht und gedeiht hier in freier Natur - in unglaublichen Mengen.



1 Kommentar:

  1. Kleiner Kommentar zu Kerala: die Hindus können SEHR geräuschvoll sein, wenn die 'Jahreszeit' der Tempelfeste kommt. Da wird an Elefanten nicht gespart und ebensowenig an Trommeln. Die Nacht wird zum Tag, alles ist begleitet von Feuerwerk wie Silvester am Brandenburger Tor.

    Ich lese Deinen Bericht mit viel Vergnügen!
    Viele Grüße .. Katinka

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