Samstag, 6. April 2013

Mit Bahn und Bus durch Nord-Indien


Zugegeben, es gibt in Indien auch eine Art ICE, sogar eine verwirrende Vielfalt unterschiedlich schneller oder langsamer, komfortabler oder unbequemer Züge. Aber der Reiseführer hatte mir die Spielzeugzüge ("toy trains") nahe gelegt, von denen es zwei in der Nähe gibt. Die Kangra-Valley-Bahn führt von Panthakot bis in die Nähe - heißt 70 km - von Mandi. Für mich beginnt die Fahrt auf dem Rückweg von Dharamsala in Kangra, der Hauptstadt der Region. Aus Zeitgründen - vorher wurde noch ein Fort, das älteste und imposanteste Indiens, besichtigt - musste ich den Vorortbanhof benutzen. Im Fahrplan, der im Netz steht, werden die Abfahrtzeiten mit der durchschnittlichen Verspätung angegeben (Daran könnte sich die DB ein Beispiel nehmen!), hätte ich die 44 min average departure delay einkalkuliert, wäre der Zug nahezu pünktlich gewesen. Warum Toy Train? Hier kann man es gut sehen: die Spurweite von 76 Zentimetern ist zwar deutlich größer als bei Märklin, aber der Zug schwankt bei geschätzter Wagenbreite von knapp 2 Metern erheblich mehr als das Bundesbahnamt oder der TÜV erlauben würden. Beim Lesen der Warnung - auf dem Dach sitzen verboten, es gibt einige Engstellen (von oben, versteht sich) - gingen mir die Warnungen des Reiseführers durch den Kopf: Ganz normaler Zug, wird in erster Linie von den Einheimischen genutzt,  keine Reservierungen und häufig überfüllt (besonders wenn auch noch die Touristen dazu kommen - zum Glück war ich der Einzige auf der gesamten Fahrt). Vom Zug immer noch nichts zu sehen. Vom in der Sonne sitzenden Stationsvorsteher - daneben gibt es den Weichensteller und ein Faktotum - wurde ich mit dem Fahrkartenkauf bei 10 Minuten vor Abfahrt vertröstet. Die Entscheidung ob erste oder zweite Klasse, immerhin ein Preisunterschied von 1300 %, wurde mir abgenommen: Es gibt keine erste Klasse. Die zweite ist dagegen selbst auf einem Stehplatz ihren Preis wert. 10 Rp für 2 1/2 Stunden Zugfahrt, das sind etwa 12 Cent.  Die von den Engländer in den 1920ern gebaute eingleisige Strecke weist ein nahezu 100-prozentiges Sicherheitssystem auf. Der Lokführer bringt eine Art speziell geformter Kugel mit und nur mit der lässt sich die Weiche für den Gegenzug stellen, der seinerseits das Token zum nächsten Bahnhof zurück bringt. Auf dem Bild ist das von englischer Ingenieurkunst zeugende Sicherungssystem zu sehen. Ein Telefon gibt es aber auch noch.
Endlich: De Zoch kütt. Und meine Vorahnung bestätigt sich leider. Sollte ich etwa auch auf dem Trittbrett stehen und mich krampfhaft festhalten müssen? Da wären selbst 10 Rp zu viel des Guten. Die Befürchtung konnte rasch zerstreut werden: der Zug war zwar bis auf den letzten Sitzplatz und noch etwas mehr besetzt, auf das Trittbrett war jedoch niemand angewiesen. Es scheint vielmehr ein Sport zu sein, sich die frische luft um die Nase wehen zu lassen. Im Gegensatz zu den S-Bahn-Turnern ist das ungefährlich. Tunnel gibt es auf der Strecke nicht.
Vielmehr jede Menge Natur, eine wirklich schöne Landschaft mit den schneebedeckten Gipfeln des Himalaya im Hintergrund. Die Farbgestaltung mancher Häuser ist recht eigenwillig und könnte für die Netzhaut gefährloch sein. Auch das Schaukeln des Zuges auf den teils recht hohen Brücken machte mir etwas Sorgen. Endstation war Bajnath - nur zwei Züge am Tagen fahren 20 km weiter Richtung Mandi. Die Busstation liegt im Ort und ich habe mutig, wie alle Reisenden, die Abkürzung über die Eisenbahnbrücke genommen, ohne Schwanken.

Der Rest der Reise war abenteuerlicher, als die doch recht bequeme Reise mit dem Toy Train. Kaum auf dem Platz, den man für den Busbahnhof halten konnte, angekommen und "Mandi" gemurmelt, schubste mich ein solider Mittdreißiger in den schon anfahrenden Bus. Dort konnte ich mich mühsam zwischen Gepäck, buddhistischen Mönchen und Familien auf dem Rückweg vom Sonntagsausflug festklemmen. Der stabile Mensch, der mir zu dem Platz  verholfen hatte, stellte sich als Schaffner heraus. Er turnte neben unter und über den im Mittelgang stehenden Fahrgästen durch und kassierte, manchmal auch nur durch Zuruf. Das Geld wanderte dann von Hand zu Hand in seine Tasche. Der Preis von ca. 1,20€ für 80 km erschien mir im Vergleich zur Bahn wie Wucher. Wie teuer ist noch mal die Kurzstrecke in Berlin? Dafür sind die großen Gelben aber deutlich besser gefedert als die uralt scheinenden Tata Busse Indiens.

Wichtiges Requisit des Schaffners ist die Trillerpfeife. Ein Pfiff und der Bus hält an. Haltestellen sind unbekannt. Will man aussteigen, gibt man dem Schaffner ein Signal Zum Zusteigen hebt man kurz den Arm und der Bus hält. Das hat den Vorteil, dass viele Einheimische die Haltestelle vor der eigenen Tür haben. Und gelegentlich gibt es wirklich eine zentrale Haltestelle, dann mit Obstand und fliegenden Händlern.

Über die Autofahrer in Indien habe ich mich schon  geäußert. Die Busfahrer machen da keine Ausnahme. Im Gegenteil: die Geschwindigkeit (bergab) hätte ich dem in die Jahre gekommenen Bus kaum zugetraut, besondern nicht in den Kurven. Glücklicherweise hatte ich auf den letzen 50 Kilometern den besten Platz überhaupt - unmittelbar neben dem Fahrer, dort wo die Busse in Deutschland ihr Lenkrad haben.
Viel passieren kann eigentlich nicht, hat doch jedes Fahrzeug ein kleines geschmücktes,  blinkendes, Marienbild auf dem Armaturenbrett und oberhalb der Windschutzscheibe. Maria heißt die Göttin sicher nicht, aber ansonsten gibt es wenig Unterschiede.

Mein Platz direkt neben dem Fahrer hatte aber auch seine Schattenseite. Auf den letzten wenigen Kilometern regnete es sintflutartig. Das stört eigentlich wenig, wenn man im trockenen Bus zu sitzen meint. Leider  habe ich erst beim Aussteigen gemerkt, dass mein auf dem Boden abgestellter Rucksack ziemlich durchnässt war. Aber was will man von einem altgedienten Tata-Bus auch verlangen.

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